Stille Stunde?
Sie kennen das: Vormittags bleibt das Büro des Schulleiters1 selten ruhig:
- die Sekretärin will einen Termin buchen
- eine Mutter möchte unangemeldet zu Ihnen wegen einer ungerechten Leistungsbewertung
- das Telefon klingelt
- der Ton einer neuen E-Mail ertönt.
Wo Sie sich doch gerade mit der neuen Konzeption des Wahlpflichtbereichs in der Sekundarstufe I beschäftigen. – Keine guten Voraussetzungen für ein produktives Arbeitsergebnis.
Die Liste der Unterbrechungen kann beliebig verlängert werden. Schulleiter müssen viele Dinge – oft zur gleichen Zeit – wahrnehmen und häufig auch entscheiden. Da ist es kein Wunder, dass eine innere Unruhe wächst und Fehlentscheidungen eintreten.
Aber wie soll man das in einem hektischen Schulbetrieb als Leitung verändern?
Gefordert wird doch augenscheinlich eine ständige Erreichbarkeit und das Aufnehmen und Verarbeiten von immer größer werdenden Informationsmengen.
In diesem Beitrag soll ein wichtiges Instrument modernen Zeitmanagements vorgestellt und mit einer wichtigen Erkenntnis der Kognitionswissenschaft verknüpft und für die Leitungspraxis genutzt werden.
Zum einen wird im Zeitmanagement immer stärker die Einrichtung einer Stillen Stunde empfohlen, zum anderen belegen zahlreiche Untersuchungen der Kognitionswissenschaft, dass unser Gehirn nur zum Monotasking – dem Bearbeiten einer Aufgabe nach der anderen und nicht zu Multitasking – dem Bearbeiten mehrerer Aufgaben gleichzeitig – fähig ist. Es hat sich gezeigt,
…dass das menschliche Gehirn nicht in der Lage ist, zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, vielmehr wechselt es sehr schnell zwischen Aufgaben hin und her, wobei der präfrontale Cortex dafür zuständig ist.2
Einrichtung einer Stillen Stunde
Die Stille Stunde des Schulleiters ist ein Zeitraum, in dem dieser – abgesehen von echten Notfällen – nicht gestört werden darf. Es ist der Termin des Schulleiters mit sich selbst.
Diese Zeit – meist 45 bis 60 Minuten wird fest in den Terminkalender eingetragen. Dabei ist die jeweilige Tagesstörungskurve zu beachten. In der Regel wird die Stille Stunde vor, meist wohl aber nach dem Unterrichtsbetrieb liegen, also am Nachmittag. Auch ist zu prüfen, ob sich besser das Schulleiterbüro oder der Arbeitsplatz zu Hause eignet.
Es ist zu überlegen, ob man sie täglich einrichtet oder einmal in der Woche, etwa am Freitagnachmittag.
Die Einrichtung der Stillen Stunde bedeutet dann, dass die Sekretärin ebenso nicht stören darf wie auch nicht die Personen der Schulgemeinde. Das Telefon ist umgestellt, das E-Mail-Programm ist heruntergefahren.
Wie nutzt man die Stille Stunde?
Die Stille Stunde dient zunächst dem Abschalten von der Tageshektik, dem Ausklinken aus dem laufenden Betrieb, in der nun keine aktuellen oder dringenden Aufgaben bearbeitet werden. Im Fokus stehen vielmehr echte Leitungsaufgaben wie:
- konzeptionelle Aufgaben, wie das oben angesprochene Konzept zum Wahlpflichtbereich
- Kalkulationen
- komplexe Aufgaben
- Planungen
- umfangreiche Berichte
- kreative Aufgaben
- neue Projekte
Nicht angegangen werden also dringende Aufgaben, die den Schulalltag häufig bestimmen. Man wird merken, dass nach einiger Zeit
- Ruhe und Gelassenheit einkehren
- sich der Blutdruck normalisiert
- divergente Ideen aufsteigen
- man Gedanken sortieren kann
- Projektideen kommen.
Auch kann in dieser Zeit in Ruhe gelesen werden. Nicht aber das, was zu Routineaufgaben gehört, sondern das, was Leitungsdenken weiterentwickelt, etwa Aufsätze zu Personalführung oder zu Organisationsmodellen oder was die eigene berufliche Fortbildung ausbaut.
Monotasking oder Multitasking?
Wie schon oben angedeutet, ist Multitasking eine wenig erfolgreiche Methode. Zudem verschafft sie oft Unruhe und Unwohlsein. Aufgaben werden nachweislich schlechter bearbeitet, wenn versucht wird, gleichzeitig andere Dinge – wie Telefonate, Lesen von Mails oder Anfertigen von Notizen – zu erledigen, die ursprüngliche Aufgabe somit aber unterbrochen und mithin gestört wird.
Das hat auch für die Stille Stunde seine hohe Bedeutung. Hier ist ja gerade der Raum für ruhiges, produktives Denken – wichtiges Kennzeichen guten Leitungsmanagements – und es wäre fatal, wenn man in dieser Zeit möglichst viele Dinge erledigen will. Man wird schnell merken, wie viele kreative Ideen in solcher einer Umgebung entstehen und reifen.
Die Stille Stunde ist also der Ort, an dem in Ruhe eine zentrale Aufgabe der Leitung einer Schule durchdacht und weiterentwickelt werden kann. Hat man diese abgeschlossen, kann man sich einem anderen Feld zuwenden. Man arbeitet also nach der Methode des Monotasking, mithin jeweils nur an einer Aufgabe und wendet sich dann der nächsten zu und nicht nach der Methode des Multitasking, indem man versucht, möglichst viele Aufgaben zur gleichen Zeit zu erledigen.
Geht man nach der Methode des Monotasking vor und bettet dies in eine Stille Stunde ein, so wird man nach einiger Zeit feststellen, dass die Ergebnisse dann in der Regel qualitativ deutlich besser ausfallen.
Einbettung in die Schulleitungspraxis
Der Schulpraktiker mag einwenden, dass dies im laufenden Unterrichtsbetrieb schlechterdings nicht praktikabel ist. Doch zeigen Untersuchungen aus anderen Bereichen wie der Leitung von Firmen, dass dies durchaus möglich und gewinnbringend ist.
König/Kleinmann fassen als Fazit ihrer Studie zur Einführung einer Stillen Stunde in Firmen zusammen:
Die Manager nahmen sich an den Tagen mit Stiller Stunde als produktiver wahr, und eine positive Bewertung war auch noch drei Monate später messbar. Im Übrigen arbeiteten sie nicht länger im Vergleich zu Tagen, an denen sie keine Stille Stunde eingerichtet hatten. Erwähnenswert ist weiterhin, dass die Persönlichkeitseigenschaft Gewissenhaftigkeit die Wirkung der Stillen Stunde beeinflusste: Personen, die sich im Allgemeinen als weniger gewissenhaft beschreiben, profitierten in besonderem Maße von der Stillen Stunde…
Die Manager unserer Studie, die die Technik der Stillen Stunde ausprobiert hatten, gaben im Übrigen drei Monate später an, weiterhin regelmäßig die Stille Stunde in ihrem Arbeitsalltag zu nutzen – sie werden wissen warum.3
Die organisatorische Umsetzung der Stillen Stunde in die Schulleitungspraxis bedarf klarer Anweisungen an das Umfeld. Zu oft wird in der Anfangsphase die Umgebung – bewusst oder unbewusst – weiterhin davon ausgehen, dass ein Schulleiter ständig erreichbar ist. Auch das Sekretariat und die Hausmeister müssen demgemäß instruiert werden. Ein entsprechendes Schild am Dienstzimmer wird das hier beschriebene Vorhaben optisch unterstützen.
Nach einiger Zeit wird sich das Schulumfeld an die Stille Stunde des Schulleiters gewöhnt haben und er kann – täglich oder wöchentlich – den Aufgaben nachgehen, die zentral für seine Führungsaufgaben sind.
Anmerkungen
1 Um den Artikel gut lesbar zu halten, verwenden wir in unseren Beiträgen alternierend die weibliche oder männliche Form.
2 http://paedagogik-news.stangl.eu/338/multitasking-eine-illusion
3 König, C. & Kleinmann, M. Der Vorteil geplanten ungestörten Arbeitens. In: Forschung und Lehre 4/16. 2013.
Literatur
Busan, T. Das Mind-Map-Buch: Die beste Methode zur Steigerung Ihres geistigen Potenzials. München: mvg-Verlag 2013.
Dzaack, J., Kiefer, J. & Urbas, L. (2005). An approach towards multitasking in ACT-R/PM. In: Proceedings of the 12th Annual ACT-R Workshop, 2005, Trieste. Pape, N., Dzaack, J., Leuchter, S. & Urbas, L. (2005). How to integrate time-duration estimation in ACT-R/PM.
L. Seifert: Das neue 1×1 des Zeitmanagement. München: Gräfe und Unzer Verlag 2007.
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