1. Zettelkastensysteme
In den letzten Jahren hat das Interesse an Software zur Eingabe und Vernetzung von Informationen deutlich zugenommen. In diesem Zusammenhang wird immer wieder der Soziologe Niklas Luhmann genannt, der über 30 Jahre ein Zettelkastensystem mit mehr als 90000 handgeschriebenen Notizen aufbaute! Auf der Grundlage dieses Verzettelns veröffentlichte er in 30 Jahren 70 Bücher und mehrere hundert Fachartikel.
Angesichts der Informationsfülle, die uns heutzutage umgibt und teilweise überfordert ist es nicht verwunderlich, dass sich Software entwickelte, die dieses System digital nachzubilden versucht.
In diesem Zusammenhang entstand aber die Frage, ob wir nicht im Internet schon über genügend Wissensspeicher wie Wikipedia oder Fachartikel- und Zeitschriftenarchive verfügen, dass solche Art von Software gar nicht notwendig ist.
Allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, dass die dort gelagerten Informationen von anderen Menschen zusammengestellt werden, was nicht unbedingt unserer Interessenlage entsprechen muss. Außerdem unterliegen diese Informationen immer öfter Bezahlschranken (paywalls).
1.1 Verzetteln, was für mich wichtig ist
Wir nehmen jeden Tag eine Vielzahl von Informationen auf, verarbeiten einige, vergessen aber die meisten schnell wieder. Die Informationsquellen sind vor allem das Internet, Fernseh- und Radiomedien, soziale Medien sowie Bücher, Zeitschriften oder Gespräche. Da geht durch die Schnelllebigkeit der Informationen mancherlei wieder verloren, das für uns zu einem späteren Zeitpunkt Bedeutung haben könnte.
Es entstehen dabei nun Fragen zu:
- Wie kann ich Informationen, die ich für mich in diesem Augenblick als wichtig erachte und die ich vielleicht später einmal in einem anderen Zusammenhang gebrauchen könnte, sicher aufbewahren?
- Wie bewahre ich diese Informationen vor dem Vergessen?
- Wie kann ich schnell auf diese Informationen zugreifen?
- Wie hängen diese Informationen mit Notizen zusammen, die ich zu einem anderen Zeitpunkt eingegeben habe?
Hier bieten sich digitale Lösungen an.
1.2 Digitaler Zettelkasten
Als Antworten zu diesen Fragen sind dann in den letzten Jahren viele digitale Lösungen entstanden, wie RoamResearch, Obsidian, RemNote, Evernote, DevonThink, Apple Notizen, Microsoft OneNote und andere.
Mit solcher Software kann man beinahe unbegrenzt Informationen digital sammeln, so wie es Luhmann analog – handschriftlich – in seinem berühmten Zettelkasten gemacht hat. Der Soziologe aber musste schon ein umfangreiches Ordnungssystem entwickeln, um bestimmte Informationen zu finden, immerhin waren bis zu 90 000 Karteikarten im Blick zu behalten.
Durch Suchalgoritmen ist dies heutzutage weniger ein Problem. Über eine Wortsuche oder angehängte Kategorien (tags) kann man sehr schnell gesuchte Informationen herausfiltern und sich anzeigen lassen.
1.3 Ist ein digitaler Zettelkasten auch für Lehrkräfte von Wert?
Ist die Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe von Notizen in einem digitalen Zettelkasten auch für Lehrende an Schulen interessant?
Nun, gerade im Schul- und Unterrichtsbereich gibt es eine Fülle von Informationen, die tagtäglich auf Lehrkräfte einströmen und manche, die auch wieder benötigt werden. Man denke nur an die Informationen für den Unterricht, die Schulverwaltung oder das Konferenzsystem,
Bevor man aber relevante Informationen digital sammelt, sollte man noch einige Vorüberlegungen anstellen:
- Man stelle sich einmal vor, man sammelt über Jahre hinweg wichtige Informationen aus dem eigenen Schulbereich und stellt dann irgendwann fest, dass man keinen Zugriff mehr auf die Daten hat, etwa, weil sich das Textformat verändert hat. So ist es heutzutage beispielsweise schwer, Zugriff auf Texte zu bekommen, die in den ersten Versionen von Microsoft Word eingegeben wurden.
- Manche Programe sammeln die Informationen zudem auf Servern in der sog. Cloud, auf die die Einzelnutzer nur mittelbar Zugriff haben. Wenn die Server einmal abgeschaltet oder gehackt werden, kann es sein, dass man keinen Zugang mehr auf den Informationen hat.
- Oder die Informationen werden unbefugt weitergegeben.
- Zudem sind einige der Zettelkasten-Programme recht teuer.
Was wäre Luhmann passiert, wenn er keinen Zugriff mehr auf seine Notizen gehabt hätte? Immerhin steckte die Arbeit von drei Jahrzehnten in seinem Zettelkasten.
Luhmann aber hatte allein zu jeder Zeit unbeschränkten Zugang zu seinen Archiv. Er verfügte über seine Karteikästen, das Textformat war seine Handschrift.
Trotzdem – dies sei am Rand vermerkt – wurde und wird sein Zettelkasten nach seinem Tod wegen seines großen wissenschaftlichen Wertes im Rahmen eines jahrelangen wissenschaftlichen Projekts von der Universität Bielefeld nach und nach digital im Internet zugänglich gemacht.1
Es gilt also, ein System zu verwenden, das die Daten auf der eigenen Festplatte speichert, sowie ein Textformat zu verwenden, das jederzeit lesbar ist, auch noch in 30 Jahren oder länger.
2. Obsidian – ein effektiver, kostenloser Zettelkasten
Hier soll in aller Kürze das Zettelkasten-Programm Obsidian vorgestellt werden, das
- die Informationen auf dem eigenen Computer abspeichert
- ein Textformat verwendet, das von allen Computern gelesen und verarbeitet werden kann
- auch zukünftig lesbar sein wird
- zudem kostenlos ist.
Die Funktionsweise soll in der gebotenen Kürze umrissen werden.
2.1 Eingabe eines Zettels
Auf der Programmoberfläche erscheint zunächst eine leere Seite, ein „Zettel“, auf dem man eine oder mehrere Informationen eingeben kann2. Nach der Eingabe wird der Zettel automatisch auf der Festplatte gespeichert. Das Programm bietet gegen einen Kostenbeitrag zudem die Möglichkeit, die Informationen trotzdem auf einem Server abzuspeichern, ggf. auch zu veröffentlichen, um mit anderen Nutzern in Austausch darüber zu kommen. Dies aber bleibt allein dem Nutzer überlassen.
Es folgen drei Beispiele für Zettel aus dem Schulbereich:
Beispiel 1: Zettelnotiz Biologieunterricht
Beispiel 2: Zettelnotiz Fachkonferenz
Beispiel 3: Zettelnotiz Philosophieunterricht – Analytische Philosophie
Was man als orange Textteile sieht, sind Links, Vernetzungen zu anderen Notizen, z. B. Weltanschauung oder Denken (s. nächster Abschnitt).
Durch ein Doppelkreuz verbunden mit einem Wort kann man den Zettel noch bestimmten Kategorien zuordnen.
Der Link Philosophieren. Ein Handbuch für Anfänger führt nach Anklicken zu der entsprechenden Karteikarte, die die Textmarkierungen enthalten kann, die ich beim Lesen des Buches angefügt habe.
Falls gewünscht, kann man sogar mit der Zusatz-Software Readwise die Textmarkierungen, die ich in einem Buch oder Aufsatz angebracht habe, automatisch in Obsidian übernehmen.
2.2 Vernetzung von Informationen
Hat man eine Zeitlang Informationen eingegeben, so wird man feststellen, dass sich Bezüge zu anderen Zetteln finden. Dann stellt Obsidian die Möglichkeit bereit, Verbindungen zu anderen digitalen Notizzetteln zu erzeugen.
Einmal können Textteile problemlos direkt mit einer anderen Notiz verbunden werden. Beide Zettel sind dann verlinkt. Obsidian schafft damit eine sog. bidirektionale Verbindung (bidirectional link), die später sehr hilfreich werden kann, da man Querbezüge sieht, die zunächst gar nicht aufgefallen sind.
Zum anderen kann man die Notiz mit beliebig vielen Kategorien (Tags) versehen, denen das Rautezeichen vorgestellt ist, im Beispiel etwa #Fachkonferenz oder #Leibniz.
Dann kann man sich alle Notizen anzeigen lassen, die ein Kategorienmerkmal, z. B. Leibniz, haben. Das ist effektiver, als die Notizen in Ordnern zu sammeln, da eine Notiz immer nur in einem Ordner sein kann (oder mehrfach in verschiedene Ordner eingefügt werden muss, was sehr umständlich ist und zu einer Anzahl gleicher Notizen führt).
Zudem bietet Obsidian die Möglichkeit, die Informationszusammenhänge auch grafisch darzustellen. So erkennt man oft noch schneller gänzlich neue Zusammenhänge.
Es folgend zwei grafische Beispiele für Zettel aus dem Schulbereich:
Grafische Darstellung 1: Karteikarte Analytische Philosophie
Graphische Darstellung 2: Übersicht über gesamten Zettelkasten
Luhmann arbeitete zudem mit dem Prinzip von serendipity3, d. h. ihm kamen bei Lesen seiner Zettel und beim Sichten von Kontexten neue Assoziationen, die er sonst nicht gehabt hätte. Luhmann sprach davon, dass der Zettelkasten mit ihm zusammenarbeite.
2.3 Was lohnte sich für Lehrkräfte zu verzetteln?
Hier beispielhaft noch einige Hinweise zu Verzettelungsmöglichkeiten in der Schule:
Unterricht
- Interessante Nachrichten für mein Unterrichtsfach
- neue Forschungsergebnisse
- Informationen aus Fortbildungen
- Meine Markierungen aus Fachbüchern
- Hinweise von anderen Lehrkräften
- Anregungen von Lernenden
- …
Konferenzleitung
- wichtige Gesetze, Erlasse, Verordnungen
- Informationen aus Fortbildungen
- Hinweise der Schulleitung
- Anregungen von Lehrkräften
- Markierungen in meiner Fachliteratur
- Gesprächsnotizen
- …
Habe ich nun über einen längeren Zeitraum Zettel gesammelt, so erhalte ich dann mit einem Tastendruck die für mich relevanten Informationen.
3. Zusammenfassung
Das Programm Obsidian ermöglicht nach kurzer Einarbeitungszeit, beliebig viele Informationen einzugeben und zu vernetzen, so dass sich nach einiger Zeit vielfältige Möglichkeiten der Informationsauswertung ergeben.
In diesem Beitrag sollte zunächst ein erster Überblick über digitale Zettelkastensysteme sowie Obsidian als effektives, kostenloses und leicht zu bedienendes Programm gegeben werden. Die Beispiele zeigen einige Einsatzmöglichkeiten für Lehrkräfte. Im Internet gibt es zudem viele Anleitungen der Bedienung des Programms4.
1 Der Zettelkasten Niklas Luhmanns
2 Luhmann hat allerdings auf jedem seiner Zettel immer nur einen Gedanken verschriftlicht.
3 serendipity: zufällige Beobachtung, die man eigentlich nicht anstrebte, die sich dann aber als neue, überraschende Entdeckung erweist
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