Multhaup, U./Hansen, V. “Studium und autonomes Lernen.“ Fremdsprachen und Hochschule 20/1987, S. 35-46.
1. Was heißt autonomes Lernen?
Die Studenten an deutschen Hochschulen genießen eine international sonst kaum bekannte Freiheit in der Wahl ihrer Lehrveranstaltungen, also weitgehende Autonomie in der Gestaltung ihres Studienplans. Wenn im folgenden vom autonomen Lernen an der Hochschule die Rede ist, so ist dennoch nicht diese Freiheit in der Wahl des Studienortes und der Sem nare gemeint. Was aber ist dann unter autonomen Lernen zu verstehen?
Das Gegenteil des autonomen Lernens ist das unter der Anleitung und unter der Überwachung durch den Dozenten stattfindende Lernen in Übungen, Seminaren und Vorlesungen. Die selbständige Anfertigung wissenschaftlicher Hausarbeiten bzw. die Vorbereitung von Referaten für ein Seminar dürfte uns dagegen schon in den Grenzbereich zum autonomen Lernen führen. Der einzelne bestimmt hier das Tempo und den Umfang seiner Arbeit weitgehend selbst, und er ist zumeist auch mitverantwortlich für die Wahl des bearbeiteten Themas. Schon aus dieser ersten Abgrenzung ergeben sich wichtige Hinweise auf Kennzeichen des autonomen Lernens.
Von autonomen Lernen ist zu sprechen, wenn der Lernende selber über das Thema bzw. den Lerninhalt seiner Arbeit sowie über ihren Zeitpunkt und den Zeitraum bestimmt. Er ist frei in der Wahl, ob, wann, wo und wie lange er arbeiten will. Dennoch trifft er seine Wahl zumeist nicht ohne eine gezielte Verwertungsabsicht, und diese kann häufig das Bestehen einer Prüfung, der Erwerb eines Scheines u.ä. sein. Autonomes Lernen ist also – anders als Spiel – nicht zweckfrei, sondern selbstbestimmtes Lernen, hinter dem eine bestimmte Verwertungsabsicht steht.
Wichtig ist ferner, daß auch das autonome Lernen in der Regel nicht ohne Hilfsmittel auskommt. Als solche sind sowohl Lehrbücher als auch Audio- und Videokassetten anzusehen. Die Frage an dieser Stelle ist erstens, ob der Computer (Microcomputer) als ein neues und dem Sprachenstudium förderliches Lehrmittel angesehen werden kann; dem muß zweitens – wie bei den Lehrbüchern und anderen Lehrmedien – selbstverständlich die Frage nach der didaktischen Qualität der Software folgen.
Wir teilen, weil die zum autonomen Lernen nötige Lernmotivation aus extrinsischen und intrinsischen Motiven gezogen werden kann, unsere Ausführungen in drei Teile und beginnen mit hochschulexternen Überlegungen, bevor wir zu studieninternen Argumenten und zu der „klassichen“ Form der Selbstlernprogramme kommen. Vorab ist aber schon festzuhalten~ daß der Blick auf die fachwissenschaftlichen Studienteile zeigt, daß wir fließende Übergänge zwischen dem Bereich des lehrer- bzw. fremdbestimmten Lernens und dem autonomen Lernen ansetzen müssen. Das soll insbesondere an Beispielen aus dem Bereich der Textverarbeitungsprogramme verdeutlicht werden, die nicht nur Schreibhilfe sind, sondern auch eine neue Qualität in die selbständige Arbeit bringen können.
2. Hochschulexterne Gründe für den Computereinsatz im Studium (Computer Literacy)
Ein erster Grund für den Einsatz von Computern im sprach- und literaturwissenschaftlichen Studium ist darin zu sehen, daß die Rechner außerhalb der Hochschule in nahezu allen Berufssparten zunehmende Verbreitung finden. Das betrifft auch die Büro- und Verwaltungsberufe, in denen Sprachstudenten noch am ehesten unterkommen, wenn sie nicht in den Schuldienst übernommen werden. Eine Einführung in den Umgang mit Computern, gerade wenn sie freiwillig ist, wird deshalb sicherlich als willkommene Zusatzqualifikation angesehen werden, die zu erwerben sich lohnt.
Der Erwerb bzw. die Vermittlung einer solchen Zusatzqualifikation während des Studiums ist dann ganz besonders zu befürworten, wenn sie ohne Einschränkung des traditionellen Studienbetriebes erfolgen oder diesen sogar noch effektiver gestalten kann. Bedenken müßten geäußert werden, wenn die Verwendung von Computern im Sprachstudium zu dem Ergebnis führen würde, daß die Studenten von den eigentlichen Studieninhalten abgelenkt werden oder wertvolle Studienzeit auf fachfremde Zwecke umgelenkt wird. Wir meinen, daß diese Sorge unbegründet ist und sehen die folgenden Argumente für den Einsatz von Computern als Angebot im Sprach~ und Literaturstudium.
3. Hochschulinterne Gründe für den Computereinsatz im Studium
3.1 Einführung in den Gebrauch von Textverarbeitungsprogrammen
Es ist in den Seminaren und bei Prüfungen seit langem Brauch, von den Studenten die Einreichung maschinenschriftlicher Arbeiten zu verlangen. Es ist desweiteren bekannt, daß die fehlerfreie Herstellung solcher Arbeiten mühsam ist und daß Textverarbeitun9sprogramme hierzu nützliche Hilfen anzubieten haben. Diese sollten auch Sprachstudenten gebrauchen lernen. Wo eine Hochschule ihren Studenten den Zugang zu Computern bieten kann, sollte diese Möglichkeit deshalb von den Sprach- und Literaturstudenten genutzt werden. Mangelnde Vertrautheit mit der Arbeitsweise von Rechnern kann heute kaum mehr als Hinderungsgrund akzeptiert werden, denn es reicht eine relativ kurze Zeit aus, um Studenten z.B. in Form eines ein- oder zweitägigen Einführungskurses die Grundfertigkeiten der Bedienung von Computern und der Benutzung kommerziell vertriebener Textverarbeitungsprogramme wie Microsoft-Word, Wordstar, T3 oder anderer zu vermitteln. Die neuerdings zum Standard aufsteigende Menusteuerunq solcher Softwareprogramme macht sie zu einem fast selbststeuernden Lernhilfs- bzw. Arbeitsmittel, das ohne aufwendiges Studium von Handbüchern genutzt werden kann. Die auf den Rechnern erstellten studentischen Arbeiten können gegen eine, aus Kostengründen sicherlich nicht zu vermeidende kleine Gebühr, ausgedruckt werden. Wir stehen im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Wuppertal am Anfang der Erprobungsphase hierzu und hoffen bald über unsere Erfahrungen berichten zu können. Zu den jetzt schon erkennbaren Schwierigkeiten gehören Fragen des Copyright und der Lizenzgebühren sowie der Absicherung vor einem Mißbrauch von Rechnern und Software. Eine Vernetzung mehrerer Geräte, die dann allerdings auch die Vernetzungsfähigkeit der Software voraussetzt, ist vorerst sicher die beste Lösung. Zumindest der Hauptrechner muß in einer solchen Konfiguration allerdings mit einer Festplatte ausgerüstet sein. Sehr empfehlenswert ist es – und das nicht nur wegen der schnelleren Arbeit der Geräte – alle Rechner mit einer Festplatte auszurüsten. Der „Preisverfall“ der Microcomputer macht die Investition in eine Festplatte gerade für eine größere Institution zur sinnvollsten Lösung. Private Arbeiten sollen grundsätzlich auf einer vom Benutzer mitzubringenden Floppy Disk abgespeichert werden.
Es liegt auf der Hand, daß die Möglichkeit der Erstellung von Manuskripten und Reinschriften mittels solcher Textverarbeitungssysteme für fortgeschrittene Studenten und für Wissenschaftler ganz besonders attraktiv ist. So sind Korrekturen und Änderungen an einem schon geschriebenen Text jederzeit problemlos möglich und „Reinschriften“ werden praktisch überflüssig. Die Erfahrung, daß die selbst verfaßten Texte ohne abschreckende mechanische Arbeiten verändert werden können, fördert nach unseren Beobachtungen die Bereitschaft unter den Benutzern, an der Form und an der Formulierung ihrer Texte zu feilen. Ein sauber ausgedruckter Text, so könnte man sagen, läßt die unsaubere Formulierung um so mehr auffallen, und die Leichtigkeit, mit der Textveränderungen vorgenommen werden können, senkt die Hemmschwelle davor, einen „fertigen“ Text doch noch einmal kritisch durchzusehen. Und weil das kritische Redigieren der eigenen Arbeiten lernförderlich ist, liegt hier gewiß auch ein Beitrag des Microcomputereinsatzes zur Förderung des autonomen Lernens vor.
Es sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, daß ein Textverarbeitungsprogramm wie Word dem Studenten das leidige Problem der Verwaltung von Fußnoten und ihrer richtigen Reihenfolge abnimmt. Für den Inhalt einer Fußnote oder einer Anmerkung trägt er selbstverständlich ebenso wie für die Qualität des Geschriebenen nach wie vor selber die Verantwortung, aber die Entlastung von der mechanischen Mühsal der Fußnotenverwaltung wird von allen, die das Problem von früher kennen, mit Staunen und Freude zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt für die Möglichkeit des nachträglichen Einfügens oder Herausnehmens bestimmter Textteile, was jetzt ohne Schere und Kleister oder Neuschrift ganzer Seiten sauber erledigt werden kann. Bemerkenswert ist ferner die Rechtschreibhilfe, die das Korrigieren der Texte wesentlich erleichtert (spell check); sie ist in mehreren Sprachen verfügbar. Außerdem ist bemerkenswert, daß mit Hilfe von Textverbreitungsprogrammen relativ leicht Stichwortregister oder Indizes erstellt werden können und daß beim Schreiben die Unterstützung durch einen Thesaurus möglich ist. Letzterer kann während der Arbeit an einem Text auf den Bildschirm gerufen werden und bietet dem um einen Begriff verlegenen Autor z.B. Synonyme oder Wortfelder als Varianten zu der eigenen Wortwahl an. Wir werden später noch gesondert darauf eingehen, welche Chancen sich hieraus für das Essay Writing der Studenten und damit für das autonome Lernen innerhalb des sprachpraktischen Studienteils ergeben.
Die bisher vorgetragenen Gedanken enthalten sicherlich gute Gründe dafür, Sprach- und Literaturstudenten den Gebrauch von Computern zu lehren, doch sind es, wie eingangs gesagt, Gründe, die nur mittelbar mit dem autonomen Lernen zu tun haben. Gleiches gilt für die Arbeit mit einem Datenbanksystem wie dBase, das im nächsten Abschnitt beschrieben werden soll.
3.2 Erstellung und Verwaltung von Bibliographien und Zitatsammlungen
Es ist bekannt, daß ein wichtiger und arbeitsintensiver Teil des Studiums bzw. der Herstellung wissenschaftlicher Arbeiten in die Suche nach Literatur zu einem Thema, in die Anfertigung von Textexzerpten und ähnliche Vorarbeiten eingeht. Auch in diesem Bereich kann der Einsatz von Rechnern die Arbeit effektiver machen und langfristige Arbeitszeit sparen helfen. Wir beziehen uns dabei auf die Möglichkeit, die ein Datenbanksystem wie dBase bietet. Es kann – in seiner neuesten Version (dBase 111 plus) bereits menugesteuert – vom Laien schon nach relativ kurzer Einarbeitungszeit bedient werden. Es macht zwar nicht die Eingabe der Titel und Angaben über die Tastatur überflüssig, kann die so einmal investierte Arbeit dann aber immer wieder neu und nach wechselnden Gesichtpunkten nutzen und die Bibliographie mehrfach verwenden. Neben der maschinellen Sortierung der Titel nach dem Alphabet und Verfassernamen sind z.B. die Möglichkeit der Sortierung nach im Titel enthaltenen Stichworten oder nach einer vom Benutzer gesondert beigegebenen Stichwortliste zu nennen. Es kann selbstverständlich auch nach dem Erscheinungsjahr u.ä. sortiert werden, und es können verschiedene Dateien gemischt und wieder getrennt werden. Man kann sich auf diese Weise die z.T. aufwendige Arbeit mit Freunden teilen und Teamwerk walten lassen, sofern man sich auf die Einhaltung eines bestimmten Formats einigt. Die Listen können ausgedruckt und auch verändert werden. Sie können in ein Format des Textverarbeitungssystems Word überspielt und so für Auswahlbibliographien in Arbeiten verwendet werden, die mit Hilfe dieses Textverarbeitungsprogramms hergestellt wurden. Wenn ein Institut sich gezielt und langfristig die Aufgabe stellt, können auf diese Weise nicht nur alle in der Hochschulbibliothek vorhandenen fachrelevanten Bücher erfaßt werden – das leistet der traditionelle Bibliothekskatalog ebensogut – , es können darüber hinaus z.B. alle Titel von Aufsätzen in Sammelbänden eingegeben werden, es können gleichfalls die Aufsätze der laufenden und der älteren Fachzeitschriften eingegeben werden – und es können alle diese bibliographischen Angaben nicht nur über die im Titel enthaltenen Stichworte schnell erschlossen und sortiert werden, sondern durch eine zusätzliche Stichwortliste, die speziellen Benutzerwünschen angepaßt werden kann, noch einmal besser verwaltet werden. Auch hier scheinen Ansatzpunkte zu liegen, Studenten bei ihrer Literatursuche den Zugriff auf ein solch ergiebiges Datenbanksystem zu verwehren.
Der Gebrauch von Computern in der Literatursuche und bei der Texterstellung darf also, das war der Sinn der vorstehenden Ausführungen, nicht nur aus hochschulexternen, sondern auch aus hochschulinternen Gründen für sinnvoll befunden werden.
Wie nun aber durch den Computereinsatz das autonome Lernen im „klassischen Sinne“ gefördert werden kann, das soll im folgenden gezeigt werden, in dem wir auf Selbstlernprogramme eingehen. Diese dürfen in ihrer Benutzungsmöglichkeit mit den Materialien in Audiotheken und Videotheken bekannter Art verglichen werden. Wo solche Lernprogramme zur Verfügung stehen, können Studenten in freier Wahl der Übungen und in freier Bestimmung der Arbeitszeit und Arbeitsdauer auf sie zurückgreifen. Es versteht sich von selbst, daß die didaktische Qualität der Selbstlernprogramme ein entscheidendes Kriterium für oder gegen ihren Einsatz sein muß. Auf diesem Gebiet müssen wir in nächster Zeit sicherlich noch viel tun und verstärkt Erfahrungen sammeln. Die von uns zusammen mit Bernd Rüschoff erprobten Selbstlernprogramme sind inzwischen z. T. technisch überholt, können hier aber trotzdem noch vorgestellt werden, und sei es nur, um typische Schwachstellen und denkbare Verbesserungen aufzuzeigen. Ganz neue Möglichkeiten bieten inzwischen Autorensysteme, die dem Computerlaien die selbständige Füllung von übungsmustern mit sehr verschiedenen sprachlichen Inhalten und Übungsvarianten erlauben.
4. Fachwissenschaftlich orientierte Selbstlernprogramme
Selbstlernprogramme sind ein Bereich, in dem die Computer als ein neues Lernhilfsmittel neben den traditionellen Lehrmitteln wie das Buch oder das Tonband im Sprachlabor eingesetzt werden können. Sie unterscheiden sich von solchen älteren Lernhilfsmittteln in der größeren Flexibilität ihrer Reaktionsmöglichkeiten auf die Eingaben individueller Lernender, also in dem, was man als ihr Interaktionspotential angesprochen hat. Flugsimulatoren und Schachspiele sind die bekannteren Varianten der Interaktionsmöglichkeiten solcher inzwischen kommerziell weit verbreiteter Programme. Sie deuten an, welche komplexen Fertigkeiten mit Hilfe der Rechner trainiert und welche Aktivierung eines vorhandenen Wissens durch sie bewirkt werden kann.
Für den Hochschul- und Sprachstudiumsbereich ist in diesem Zusammenhang vor allem an die Möglichkeit der von einem Dozenten gezielt für seine Studenten erstellbaren Selbstlernprogramme zu denken. Solche Übungen kann er heute, im Rückgriff auf die auf dem Markt befindlichen Autorensysteme bzw. Autorensprachen, ohne das Erlernen einer Computersprache wie Basic oder Pascal relativ leicht und schnell erstellen, und sie können nach der ersten Formulierung eines Übungs- bzw. Arbeitstextes jederzeit und ohne große Mühe inhaltlich variiert oder erweitert werden. Sie können selbstverständlich auch innerhalb einer Lehrveranstaltung eingesetzt werden, vor allem aber – und das reiht sie in den Bereich des autonomen Lernens ein – als Angebot für ein freiwilliges Studium außerhalb der Lehrveranstaltungen benutzt werden. Die einschlägigen Stichworte zur Kennzeichnung ihrer didaktischen Mög ichkeiten sind remedial teaching und enrichment functions.
Unter den vielen verschiedenen Arten und Formen solcher Selbstlernprogramme soll hier auf einige von uns erprobte bzw. geplante Varianten Bezug genommen werden. Wir halten im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität GH Wuppertal jedes Semester Einführungskurse in die Linguistik, die Literaturwissenschaft und die Fremdsprachendidaktik ab. In diesen Kursen finden Zwischen- und Abschlußklausuren statt. Zu den Kontrollaufgaben, denen diese Klausuren dienen, zählt die Überprüfung der Kenntnis der wichtigsten fachlichen Grundbegriffe. Die Studenten haben ein verständliches Interesse daran, sich auf diese Klausuren gut vorzubereiten. Sie können dies natürlich anhand ihrer Skripten und der auf dem Markt befindlichen Bücher und Lexika tun. Letztere enthalten ein breites Begriffsangebot, das gewöhnlich weit über das in einem Einführungskurs vorzustellende Begriffsrepertoire hinausgeht. Die von uns angesprochenen Selbstlernprogramme greifen demgegenüber absichtlich nur auf die im Semesterprogramm vorkommenden Begriffe zurück. Sie bieten somit ein gezieltes Übungsangebot für Studenten, die davon freiwillig Gebrauch machen wollen. Formaler Ausgangspunkt der Übungsprogramme ist ein Textrekonstruktionsspiel. Auf dem Bildschirm erscheint ein kurzer Text – der Inhalt ist beliebig, enthält zumeist aber eine prägnante, fachrelevante Aussage – dessen Buchstaben durch Sternchen „verdeckt“ sind. Dem Lernenden werden vom Programm als nächstes Fragen gestellt, die jeweils mit einem fachrelevanten Begriff zu beantworten sind. Für jede richtige Antwort deckt der Rechner einen vom Lernenden gewählten Buchstaben an allen passenden Textstellen auf. Bei einer falschen Antwort wird ein zweiter Versuch angeboten. Danach geht es zur nächsten Frage weiter. Ungelöste Fragen werden in einem späteren Durchgang wieder vorgelegt.
Verzweigungen im Programm erlauben es, wenn nötig zwei verschiedene Antwortformulierungen als richtig anzunehmen; das ist bei Synonymen wichtig, weil z.B. sowohl Sprachregister als auch Register die richtige Antwort auf eine dementsprechende Frage sein kann; ebenso müssen sowohl strukturale Progression als auch grammatische Progression als Synonyme gelten, die alternativ zu akzeptieren sind. Verzweigungen erlauben dem Lernenden des weiteren, sich Lernhilfen zu einer Frage geben zu lassen. Dies können in „Eselsbrücken“ oder Umformulierungen der Frage bestehen. Die Verzweigungstechnik erlaubt es aber auch, mit antizipierten Falschantworten und gezielten Rückmeldungen auf diese zu operieren.
Didaktisch lassen sich gewiß Einwände gegen diese Form des Fragens nach Begriffen erheben. Der Vorwurf des „Begriffeklopfens“ liegt nahe und ist nicht von der Hand zu weisen. Dennoch darf man wohl nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß die herkömmliche Vorbereitung auf Fachklausuren zumeist in einem Pauken der Begriffe besteht. Die Übungsprogramme kopieren somit – nur in umgekehrter Folge – die verbreitete Lerntechnik; es wird nicht die Definition zu einem Begriff erfragt, sondern der Begriff zu einer Definition. Diese Verkehrung ist technisch nötig, weil die gängige didaktische Software als Lerneingabe nicht mehr als ein bzw. zwei Wörter verarbeiten kann.
Eine Milderung der didaktischen Schwächen dieser begriffsorientierten Übungsprogramme kann man dadurch erreichen, daß man die Studenten an der Formulierung der Fragen beteiligt. Sie sehen dann nicht nur, wie schwierig es ist, eindeutige Fragen zu stellen, sie üben dabei bereits die Fachbegriffe, die sie ja behalten sollen, und sie erhalten als Anreiz für ihre Mühe die Zusicherung, daß die Klausur keine Fragen enthält, die nicht in das Selbstlernprogramm aufgenommen wurden. Eine andere Variante solcher auf Textrekonstruktionsspiele zurückgreifender Selbstlernprogromme ist nicht an bestimmte Lehrveranstaltungen gebunden. Trainiert werden hier gleichzeitig sprachpraktische und fachinhaltliche Aspekte, weil ein fremdsprachlicher Text mit fachwisssenschaftlichem Inhalt zu rekonstruieren ist. Sprachlich schärft das nicht nur das Auge für syntaktische Muster, Kollokationen und satzübergreifende Merkmale wie Pronominalisierungen, es wird auch der enge Zusammenhang zwischen Thema und themenspezifischem Vokabular augenfällig, und es wird Wortschatzarbeit betrieben.
Als fachliche Inhalte solcher Rekonstruktionsübungen sind u.a. Gattungsdefinitionen oder markante Kennzeichen etwa der Short Story oder des Formal Essay denkbar. Es können Titel bekannter Werke oder deren Plot genannt und nach ihren Autoren gefragt werden. Es kann die Exposition berühmter Werke geboten und nach deren Titel gefragt werden. Die „Fenstertechnik“ und die Graphikfähigkeit der Computer rücken bestimmte landeskundliche Übungen in den Bereich der Möglichkeiten. So können z.B. auf der einen Bildschirmhälfte die Umrisse eines Landes mit seinen wichtigsten Flüssen, Städten oder Landesteilen erscheinen und auf der anderen Bildschirmseite Fragen nach ihrem Namen. Wiederum scheint es gerade das spielerische Element, das solchen Übungsformen anhaftet, das sie für das autonome Lernen empfiehlt, wohingegen man in einem Seminar bzw. einer Übung solche quizartigen Lernformen sicherlich vermeiden möchte und stärker hinter die Oberfläche der Dinge blicken wollen wird. Dem aber kann ein von den Studenten außerhalb des Seminars erworbenes Wissen um die baren Fakten nur stützen, und manches Mal wäre man sicherlich froh, wenn ein solches simples Faktenwissen wirklich vorausgesetzt werden könnte.
5. Sprachdidaktisch ausgerichtete Selbstlernprogramme
In der Literatur zum Computer Assisted Language Learning (CALL) sind viele Möglichkeiten der Wortschatz- und Grammatikübungen beschrieben worden. Sie lassen sich auch in der Sprachausbildung an den Hochschulen verwenden.
Im sprachpraktischen Bereich des Anglistikstudiums an der Universität GH Wuppertal haben wir ein Programm zu einigen in studentischen Arbeiten immer wiederkehrenden Übersetzungsfehlern entwickelt (false friends). Vorgelegt wird ein fehlerträchtiger deutscher Begriff, gefragt wird nach seiner englischen Übersetzung und angeboten werden dazu in der multiple choice Art drei Antwortmöglichkeiten. Lernhilfen stehen auf Abruf zur Verfügung und bieten Erklärungen zu den Fehlern, die gemacht wurden. Wir haben es darüber hinaus für nützlich befunden, an das Ende des Selbstlernprogramms einen kurzen deutschen Text zu stellen, in dem die geübten Wörter in einem Kontext vorkommen – der aber auch andere, neue Übersetzungsprobleme birgt. Der Lernende wird aufgefordert, diese Sätze mit Papier und Bleistift ins Englische zu übersetzen, und er erhält das Angebot, seine Übersetzung von einem Lektor in dessen Sprechstunde nachsehen zu lassen. Wir sind der Meinung, daß gerade solche Follow-Up-Tasks sehr empfehlenswert sind. Sie vermitteln das Gefühl, das manche Lernende brauchen, daß sie nicht mit einer Maschine alleine gelassen werden und daß ihre Bemühungen eine menschliche Würdigung finden und weiterführen.
Wichtige neue Möglichkeiten bietet das uns erst kürzlich bekannt gewordene Programm Turbo Lightning, das in Verbindung mit einem Textverarbeitungssystem wie Word oder Wordstar eingesetzt werden kann. Es handelt sich hierbei um einen Thesaurus, der während der Schreibarbeit auf den Bildschirm gerufen werden kann und dann zu dem jeweiligen Begriff, den man gerade bearbeitet, ein Wortfeld bzw. Synonyme bietet. Er kann außerdem so geschaltet werden, daß er als Spell Check fungiert und somit die Rechtschreibung kontrolliert. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Arbeitsmittel insbesondere für Übungen wie das Essay Writing mehr als nur eine Arbeitserleichterung bietet. Gerade weil das lästige Nachschlagen im Lexikon entfällt, wird von dem Wortangebot des Thesaurus häufig Gebrauch gemacht. Man läßt sich schon aus Neugier mögliche Alternativen zu der eigenen Wortwahl bieten und wird immer wieder mit den bekannt nützlichen Wortfeldern eines Thesaurus konfrontiert. Das Empfinden für die richtige Wortwahl wird so trainiert, der eigene Wortschatz erweitert.
Für Lehramtstudenten bietet sich zusätzlich die schrittweise Erstellung sowie das Auswerten von Schülerübungsprogrammen mit Hilfe von Autorensystemen wie etwa Luecktext oder Brainlearn an. Hier können wertvolle didaktische, aber auch sprachpraktische Erfahrungen gemacht werden.
Es gilt, ein Problemfeld, etwa die Wortstellung im Englischen, genau zu analysieren, Lernziele zu formulieren und in einen pädagogisch sinnvollen Algorhytums zu verwandeln. Zudem ist Präsentations- und übungsmaterial im Hinblick auf die angestrebte didaktische Verwendung auszuwählen sowie zielqruppen- und softwaregerecht aufzuarbeiten.
6. Textgeneration und Linguistik
Die Fähigkeit des Computers, Sprachzeichen zu repräsentieren und logische Operationen durchzuführen, hat ihn schon früh zu einem interessanten Instrument für Linguisten gemacht. Waren die ersten Versuche noch auf Mainframe Computer begrenzt, so können inzwischen die Microcomputer mit beachtlicher Leistungsfähigkeit aufwarten und sowohl innerhalb als auch außerhalb linguistischer Seminare eingesetzt werden. Die linguistische Abteilung unseres Fachbereichs in Wuppertal beginnt z. Z. damit, Studenten die Probleme der Generierung von Sätzen durch den Computer erfahrbar zu machen. Die Programme sind mit Hilfe der Computersprachen LISP und PROLOG geschrieben.
Das Lernprogramm enthält einen Parser und gefordert werden die lexikalisch-semantischen Eingaben, die dem Parser die richtige Verwendung der Wörter erlauben und die Erzeugung akzeptabler Sätze ermöglichen. Linguistische Theorie wird hier durch die sofortige und unerbittlich logische Exekution der eingegebenen morphologischen und syntaktischen Instruktionen in ihren Folgen erfahr- und prüfbar. Wenn z. B. eine unzugängliche oder falsche Eingabe durch den Lernenden zu syntaktisch falschen oder zu „putzigen“ Sätze durch den Rechner führt, so merkt der Student sofort, daß er und eventuell was er falsch gemacht hat. Die Funktion von Weltwissen und seiner semantischen Kodierung rückt sozusagen sichtbar vor Augen, wenn das Gerät etwa auf die Frage Wo ist der Tisch? dem verdutzten Benutzer antwortet: Der Tisch ist unter dem Orangensaft. Sinn und Wert einer korrekten linguistischen Analyse, die solchermaßen sichtbar wird, hat nach unseren bisher vorliegenden Erfahrungen zu einer beachtlichen Steigerung des studentischen Interesse an dieser Arbeit geführt und – was an dieser Stelle relevant ist – ihr autonomes Arbeiten mit dem Programm in den freien Verfügungsstunden so herausgefordert, daß schon Engpässe entstehen. Ein ausführlicher Bericht über dieses Projekt ist in Vorbereitung und wird demnächst publiziert.
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