Hansen, V. “Modern developments in the teaching of English literature. Specialist Course des British Council, 1.-13. April 1984 in Aberdeen”. Englisch-Amerikanische Studien 3/1984, S. 557-558.
Specialist Course des British Council, 1. -13. April 1984 in Aberdeen
Die Theorienbildung innerhalb der muttersprachlichen Literaturdidaktik in Großbritannien wird hierzulande noch erstaunlich wenig zur Kenntnis genommen, obwohl doch auch für die hiesige Fremdsprachendidaktik wichtige Impulse aus der dortigen Fachdiskussion zu erwarten sind.
Daher durfte man einigermaßen gespannt sein auf den vom 1. -13. April 1984 in Aberdeen stattfindenden ersten ‚Specialist Course‘ mit dem Thema ‚Modern Developments in the Teaching of English Literature‘. Der besondere Reiz der Tagung, zu der das British Council, London, eingeladen hatte, lag in dem Zusammentreffen von führenden britischen Literaturdidaktikern mit EFL-ESL Lehrenden des tertiären Ausbildungssektors aus allen Kontinenten.
Die in 18 Vorträgen vorgestellten literaturdidaktischen Konzeptionen, vertieft durch zahlreiche Gruppendiskussionen und ‚workshops‘, wurden von den 21 Tagungsteilnehmern immer wieder auf ihre Praktikabilität innerhalb unterschiedlicher kultureller Rahmenbedingungen hin untersucht.
Durch das Einführungsreferat von Prof. H. G. Widdowson, University of London, ‚Literature as a Use of Language‘ wurde der Tagungsrahmen abgesteckt. Er wies auf die zunehmende Bedeutung linguistischer Konzepte für die Literaturdidaktik (hier: lyrical poetry) hin. Eine diesbezügliche Methodologie müsse Dichtung als eine besondere Art des Diskurses verstehen. Ein Gedicht ist nicht, wie etwa Bateson definiert, nur ‚parole‘, sondern ‚a kind of mini-langue‘, es besitzt eine Doppelstruktur ‚of parole which is also langue, of langue which is also parole‘. Es ist ein Teil innerhalb der gesamten Sprachverwendung, das mit linguistischen Werkzeugen analysiert werden kann. Dies hat eine modeme Literaturdidaktik zu berücksichtigen. Als Beispiele aus der eigenen EFL-Literaturarbeit stellte Widdowson verschiedene ‚cloze procedure‘ Verfahren vor.
G. Renberg, University of Aberdeen, verwies im Anschlußreferat auf die Notwendigkeit einer sinnvollen Verknüpfung von rhetorischen Arbeitsweisen, die in Großbritannien eine lange, bis in die Renaissance zurückreichende Tradition aufweisen, mit modernen linguistischen Verfahren.
Mehr praktischen Aspekten der Literaturarbeit widmete sich A. Cluysenaar, Sheffield City Polytechnic, in ihrem Vortrag ‚Stylistics and the Teaching of Verbal Arts in Literary Studies‘. Sie machte zunächst auf die zunehmende Gefahr ausschließlich deskriptiver und evaluativer Methoden der Textarbeit aufmerksam, die eine Weiterentwicklung der ‚verbal arts‘ vernachlässigten. Während in künstlerischen Studiengängen immer auch der praktische Aspekt, die Förderung der Kreativität, eine wesentliche Komponente sei, treffe dies für den Literaturunterricht kaum zu. In ihrem sehr anregenden Vortrag stellte sie auch exemplarisch dar, wie Studenten nach einer Auseinandersetzung mit einem Gedicht von Dylan Thomas zur Erstellung eigener Arbeiten (Gedichte, Kurzgeschichten etc.) angeregt wurden.
Ebenfalls als sehr praxisorientiert erwiesen sich die Ausführungen von R. Carter, University of Nottingham, zum Thema: ‚Stylistics and Narrative Theory‘. Er verwandte die ’summaries‘ der Tagungsteilnehmer zu S. Maughams Kurzgeschichte ‚The Man with the Scar‘ dazu, narrative Strukturen in ‚kondensierten‘ Texten sowie die bei Erstellung der ’summaries‘ im Verfasser ablaufenden Prozesse zu verdeutlichen. Dies sah Carter auch als eine gute Möglichkeit des Texteinstiegs an. Als Zugang zu Kurzgeschichten schlug er folgende Strategie vor:
- Summary
- Prediction
- Cloze procedure
- Forum (provozierende Stellungsnahmen zum Text)
- Guided re-writing
- Evalution
Im Mittelteil des Kursprogramms standen Vorträge zur Entwicklung des Strukturalismus, besonders in seiner Auseinandersetzung mit dem ‚Practical Criticism‘ Leavisscher Prägung, der in Großbritannien innerhalb des sekundären Ausbildungssektors bis heute vorherrschend geblieben ist. (Man vermißte Vertreter dieser Richtung auf der Tagung.)
C. Belsey, University College Cardiff, konzentrierte sich auf Post-Strukturalismus Positionen. Sie setzte sich zunächst deutlich ab von den etwas polemisch als ‚Ancients‘ bezeichneten Literaturdidaktikem des ‚Traditional humanist approach‘ im Gefolge von M. Arnold und F. R Leavis, deren intuitiver Ansatz nicht wissenschaftlichen Ansprüchen genüge. Sehr deutlich wurde der Ansatz von Leavis als elitär zurückgewiesen, da hier das Gefühl und die Fähigkeit zur ‚discrimination‘ einiger Literaturwissenschaftler den Status von Axiomen erhielten. Entsprechend sei auch der von Leavis konstatierte Literaturkanon, ‚the Great Heritage‘, willkürlich, da er auf nicht nachprüfbaren subjektiven Entscheidungen basiere. Dagegen ermögliche der sprachwissenschaftliche Ansatz, der auch nicht mehr rein autororientiert sei, eine offene Auseinandersetzung mit dem literarischen Text. Der Post-Strukturalismus vermeide auch die Gefahr ausschließlicher Deskription, da er Evaluation als notwendig erachte, diese aber immer offen für Kritik sein müsse.
In seinem Referat ‚Deconstructing the Romanties‘ zeigte J. H. Alexander, University of Aberdeen, auf, daß die traditionelle anglo-amerikanische Literaturkritik immer nur das Bild von geschlossenen Texten entwirft. So ist das Interesse der Romantikforschung gerichtet auf die Einheit des Werkes, seine Kohärenz, auf das Glätten der Widersprüche. Dagegen, so Alexander, sei es erforderlich, den Text zu ‚dekonstruieren‘, d. h. den Prozeß seiner Produktion zu untersuchen. Sei z. B. bei Keats‘ ‚Ode on a Grecian Um‘ bislang nur versucht worden, die organische Einheit und die zugrundeliegende Bedeutung zu erfassen, so müsse es vielmehr darauf ankommen, die Unterschiedlichkeit möglicher Deutungen, die Unvollständigkeit, die Auslassungen zu suchen. Durch diese Abwesenheiten kritisiere der Text seine eigene Ideologie. Damit werde er offen für eine Vielzahl von Lesarten. Auf Wunsch der Tagungsteilnehmer wurde eine zusätzliche Seminarveranstaltung eingerichtet, die der praktischen Anwendung der Ausführungen auf das Gedicht von Keats diente.
In dem ‚workshop‘ ‚From Theory to Methodology‘ versuchte H.L.B. Moody zunächst eine Taxonomie von Literaturkursen aufzustellen, die hier stichwortartig wiedergegeben wird.
Specialist
- Nationalist (historical)
- Comparative (other literatures, other arts etc.)
- Genre-based (drama etc.)
- Function-based (epic, satire etc.)
Combined
- with other disciplines
- with language(s)
- with creative arts
Service
- for language learning
- General (children, adults)
- Specific (ESP)
Der Literaturlehrer müsse zunächst genau die Art des Kurses bestimmen, um dann Folgerungen für die Methodologie ziehen zu können. Moody wies aber darauf hin, daß Literatur nicht an eine Vorgehensweise gebunden werden könne, die Auseinandersetzung mit ihr vielmehr den kulturellen Traditionen des Landes, in dem englische Literatur gelehrt werde, angepaßt werden müsse.
M. Short, University of Lancaster, ging in seinem Vortrag ‚Discourse Analysis and the Analysis of Drama‘ zunächst auf die historische Entwicklung der Diskursanalyse ein und zeigte dann am Beispiel von H. Pinters ‚Trouble in the Works‘, wie die vier Griceschen Gesprächsmaximen (quality, quantity, relation, manner) auf diesen Text angewandt werden können.
Den Abschluß des Kurses bildeten Ausführungen zum Themenkreis Literaturdidaktik und die neuen Medien. G. Skirrow, University of Strathclyde, stellte anhand der Verfilmung von L. G. Gibbons Kurzgeschichte ‚Clay‘ einige Möglichkeiten semiotischer Filmanalyse vor.
Anschließend berichtet Prof. G. Martin, Open University, über seine langjährigen Erfahrungen bei der Entwicklung von Literaturkursprogrammen für die Fernuniversität. Die Vermittlung von Literatur durch das Medium Fernsehen, die Umsetzung in visuelle Elemente, bietet eine Reihe von interessanten Möglichkeiten, wie etwa die anschauliche Darstellung biografischer und sozio-kultureller Informationen, Dichterlesungen etc.
Die Tagung bot insgesamt einen guten Einblick in die neuere Theorienbildung innerhalb der britischen Literaturdidaktik. Die von vielen Vortragenden geforderte Synthese von ‚traditional humanist and linguistic approach‘ scheint aber noch in weiter Ferne zu liegen. Zu groß ist wohl noch das gegenseitige Mißtrauen.
Ein Anschlußkurs ist für 1987 geplant.
Schreibe einen Kommentar